„Man will immer noch nicht sehen, dass das einfache Umtauschverhältnis von Affirmation und Negation, das durch die klassische Negationstafel bestimmt wird, einen Denkzwang auslöst, der sich in einem metaphysischen Glauben an eine finale ontische Symmetrie von Subjekt und Objekt manifestiert. Solange man als selbstverständlich voraussetzt, dass im Absoluten Subjekt und Objekt zu totaler Deckung kommen, muss jede Wirklichkeitsdeutung, soweit sie aussprechbar sein soll, entweder wieder auf dem Hintergrunde einer absoluten Subjektivität oder einer ebenso absoluten Objektivität erfolgen. Erwies sich die eine Deutung als unzureichend, dann musste die Wahrheit eben auf der anderen Seite liegen. Das führte unvermeidlich zu der ideologischen Kontroverse von Idealismus und Materialismus. Formal gesprochen: Das einfache Umtauschverhältnis von Affirmativität und Negation, mit dem die klassische Logik anfängt, wurde in seiner Anwendung auf die Welt immer als ein Rang- oder Vorzugsverhältnis gedeutet, in dem die eine Komponente der andern unbedingt über- bzw. untergeordnet wurde.
Dass die Bedenklichkeit eines solchen Verfahrens im Verlauf der Geschichte der Wissenschaft nur höchst langsam in das reflektierende Bewusstsein drang, war sehr verständlich, denn alle auf dieses Prinzip sich stützenden Welterklärungen konnten bis zur Gegenwart hin mit enormen Erfolgen auf naturwissenschaftlichem Gebiet aufwarten. Kein Wunder! Der wissenschaftliche Naturbegriff, der sich unter dem Einfluss griechischen Denkens und speziell der Aristotelischen Logik entwickelte, zielte mit völliger Selbstverständlichkeit auf die Darstellung eines subjektlosen Universums von totaler Objektivität, in der Subjektivität nur soweit tolerierbar war, als es möglich schien, die letztere restlos in der Gediegenheit eines gegenständlichen Ansichs aufzulösen. Das führte zu zwei ebenbürtigen Weltbildern, die sich gegenseitig nicht mehr widerlegen konnten, bzw. zu der letzten Alternative von Wissen und Glauben. Entweder man sah die Welt als Natur, als subjektloses System, in dem alle Ichhaftigkeit sich nur als Störquelle darstellte, deren Beseitigung dringendste Angelegenheit der Erkenntnis war, oder aber die letzte formale Umtauschsymmetrie von Assertivität und totaler Negation machte ihre andere Seite geltend, und übrig blieb am Ende nichts anderes als die Universalität eines absoluten Subjekts, in der alle Objektivität wie wesenloser Schein vergangen war. Das war nicht das Wissen, das war der Glaube.
Was auf beiden Seiten dabei mit fragloser Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird, ist die totale Reduzibiltät der beiden Weltkomponenten Objekt und Subjekt auf endgültige Identität. Sowohl für das Objekt wie für das Subjekt gilt, dass es sich um transzendente Größen handelt, deren Eigenschaften auf eine letzte primordiale Identität zurückführbar sind. In dem einen Fall ist dann vom objektiven Sein überhaupt die Rede und in dem anderen von dem ewigen, lebendigen Gott. Nun dürfte heute kaum ein Zweifel existieren, dass in einem subjektlosen Universum die These von der absoluten Reduzibilität der Vielheit auf Einheit einen unverlierbaren Wahrheitskern enthält. Der Verfasser sieht sich aber hier genötigt, ebenso emphatisch zu behaupten, dass die Übertragung dieser These auf das Problem der Subjektivität einen schweren philosophischen Irrtum darstellt. Zwar scheidet Kant noch ein Ding an sich von einem Ich an sich; da aber im An-sich-Bereich nichts mehr aussagbar ist, ist es auch unzulässig, der Subjektivität andere primordiale Eigenschaften zuzuschreiben als der Objektivität. Wird also von der Objektivität ihre absolute Reduzibilität auf Einheit (Sein überhaupt) behauptet, so muss das auch von der Subjektivität gelten. Das führt dann letzten Endes wieder zu der metaphysischen These der coincidentia oppositorum, in der die klassische Tradition gipfelt und die idealistisch oder materialistisch ausgelegt werden kann.“
(Aus: Gotthard Günther, „Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik“, Felix Meiner Verlag, 1978, S. XXIII/XXIV oder www.vordenker.de)