Weltentwurf statt Wissen von der Welt

 

Computersysteme und ihre graphischen Benutzeroberflächen haben bis dahin die jeweilige Wirklichkeit – Büro, Produktionsablauf, Software-Entwicklung usw. – repräsentiert. Sie sind Repräsentationen, ikonische Widerspiegelungen idealtypischer Umgebungen.

 

Der Benutzer hat den Überblick über seine Situation. Er ist der externe Beobachter, das trans-mundane Subjekt der Manipulation der symbolisch repräsentierten Arbeitswirklichkeit.

 

Es gibt einen und einzigen Standpunkt der Manipulation und Interpretation der ikonisierten Modellwelt. Diese selbst ist weitestgehend hierarchisch strukturiert.

 

So komplex die multi-mediale Repräsentation der Arbeitsumgebung und ihrer Kommunikativität sich darstellt, es wo auch immer, mit oder ohne Selbstorganisation, Synergie und Emergenz, das Prinzip der monokontexturalen Identität der Zeichen.

 

Nun, was anderes sollte denn auch schon angesagt sein?

 

Es ist, soweit ich weiß, vollständig übersehen worden, wohl weil es heute niemand gebraucht bzw. ebenso niemand zu denken vermag, dass in dem zeitgenössischen Konglomerat von Parallelismus, Reflektionaler Programmierung, Multi-Prozessualität, neuromorpher und subsymbolischer Verrechnung, Raum ist für eine erste Hardware-Modellierung völlig neuer Computerarchitekturen basierend auf bis dahin ebenso ungedachten polykontexturalen Denkformen.

 

Die ungeheure Entwicklung der Objektivation des Geistes, die sich heute vor unseren Augen und auf dem Computerbildschirm abspielt, ist immer noch die Objektivation von schon objektiviertem Wissen.

 

Selbst da wo der Computer in seiner Vernetzung das ultimative Instrument unserer Kreativität darstellt bzw. als solches und unersetzbares Instrument fungiert, ist er nicht eine Modellierung und Unterstützung der Kreativität selbst. Der kreative Prozess ist außerhalb der Objektivation, im medialen Bereich wird er optimal unterstützt, die Kreativität ist jeglicher berechenbaren Gesetzlichkeit enthoben und frei von den Zwängen der Algorithmisierung.

 

Dies ist der Stolz, aber auch die Einsamkeit der letztlich egologisch fundierten Kreativität.

 

Komplementär dazu wird der Selbstorganisation der Daten vom Computer Kreativität im Sinne von Emergenzen erwartet. Selbst dann, wenn die Selbstorganisation eine Figuration erzeugt hat, die der Beobachter als Kreation akzeptiert, ist er es, der das Auswahlkriterium einsetzt und nicht das Computersystem. Auch weiß der Beobachter nicht, nach welchen reproduzierbaren Regeln das System via Selbstorganisation zu seinem Resultat gelangt ist, genau so wie das Computersystem nicht weiß, nach welchen Regeln der User ein Resultat auswählt und damit auszeichnet; z.B. als kreatives Objekt.

 

Dieser Stolz, wie auch der Glaube an das System, stellt einen Anachronismus dar, der ein baldiges Ende finden wird.

 

Die neue Computergeneration hat es nicht mehr mit der Repräsentation von Wirklichkeit, sondern mit der Kreation und der Präsentation neuer Wirklichkeit zu tun. Sie repräsentiert nicht mehr Wissen der Welt, sondern entwirft Wirklichkeit. Nicht als Information, sondern als Weltentwurf.

 

Sie ist nicht Modellierung, Simulation oder Konstruktion, sondern ko-kreativer Weltentwurf. Damit ist das Computersystem aus dem Subjekt/Objekt-Verhältnis entlassen und ist nun weder Instrument (tool) noch Medium noch Monster.

 

Das neue Computersystem modelliert nicht ein externes Weltwissen, sondern die introszendenten Regeln der subjektiven, singulären wie kooperativ vernetzten Kreativität.

 

Es ist eine echte Denkprothese und kein Instrument der Informationsverarbeitung. Seine Aufgabe ist es nicht, symbolische Rechenprozesse des Denkens zu unterstützen, sondern die Intuition von Routinen zu befreien, um tiefere Schichten der Intuitivität zugänglich zu machen.

 

Ko-kreation hat nichts mit der Konstruktion oder Kreation virtueller Welten, Cyberspace, Hyperspace usw., zu tun. Ebenso wenig ist das künftige Computersystem mithilfe neuromorpher Netze und anderer bio-technischer Gehirn-Analogien bzw. -Metaphern zu realisieren.

 

Welches nun die Regeln der mechanisierbaren Schichten der Intuition sind, ist noch weitgehend offen. Doch die PKL kann hierzu jetzt schon wesentliche Strukturen zugänglich machen.

 

Es ist heute schon möglich, ausreichend genau zu beschreiben, was die Aufgaben eines solchen Systems sind, wie es zu funktionieren hat und wie weit es heute schon und auf welcher Ebene der Modellierung realisiert werden kann.

 

(Aus: Rudolf Kaehr, "Skizze eines Gewebes rechnender Räume in denkender Leere", http://www.vordenker.de/ggphilosophy/kaehr_skizze_36-120.pdf, S.77/78)