Voraussetzungen

 

Liebe Freunde,

 

wir sind einen langen Weg zusammen gegangen. Und bevor wir weitergehen, sollten wir kurz innehalten und uns fragen, ob wir überhaupt die notwendigen Voraussetzungen mitbrachten, um genau diesen Weg zu gehen. Nun ist es so, dass zu Beginn des Weges noch nicht klar war, dass es Voraussetzungen geben könnte. Man ist einfach drauflosmarschiert. Auf der Karte war dieser Weg als „Philosophenweg“ verzeichnet. Und das heißt doch schonmal was. Oder vielleicht auch nicht? Und wenn es etwas heißt, was heißt es dann genau? Soviel zur Einleitung des heutigen Vortrages. Und weil mir im Moment etwas der Anschluss fehlt an diese etwas unglücklich gelaufene Einleitung, muss ich wohl irgendwie anders weitermachen. Vielleicht wieder einmal mit Komplexität und Kompliziertheit? Das hatten wir schon öfter, und es braucht keinerlei Vorkenntnis, um den Unterschied zu verstehen. Man sperre beispielsweise zehn, einander unbekannte Komplexitäten vom Typ Homo Sapiens in einen Raum und beobachte die stattfindenden Interaktionen, den Aufbau eines kleinen Regelwerks, beschreibbar und mehr oder minder kompliziert, bis es zu einem annähernd stabilen Verhalten kommt, was bedeutet, dass die Änderungsrate der Regeln nur noch gering ist und man das Zusammenspiel der zehn Einzelkomplexitäten als eine einzelne Komplexität höherer Ordnung begreift. Das ist uns allen bekannt. Die Komplexitäten erzeugen miteinander die Regeln, oder auch Kompliziertheiten, durch Interaktion, und dieser Vorgang, diese Veränderungen und neuen Regeln, oder, kurz gesagt, das Entstehen von Neuem, ist zeitlich. Das ist, wenn man das so nennen will, das eine Prinzip, nach dem alles abläuft, und zwar auf jeder Komplexitätsstufe. Komplexität, Kompliziertheit, Zeit. Alles dabei. Warum ich Sie damit langweile? Vielleicht hätte man dieses kleine Gedankenexperiment an den Anfang des „Philosophenweges“ stellen sollen? Dessen Akzeptanz als Zugangsvoraussetzung? Jetzt könnte jemand einwenden, dass es viele, viele Wege dieser Art gibt. Ist das wirklich so? Ich bezweifle es. Unglücklicherweise wird meist von den Regeln bzw. der Kompliziertheit ausgegangen, um dann zu versuchen, die Komplexität als eine sehr komplizierte Kompliziertheit zu verstehen. Damit fällt die Zeit unter den Tisch, und man ist gezwungen, diese im Nachhinein irgendwie wieder zu integrieren. Das Beleben des Unbelebten. Der „Philosophenweg“ ist definitiv nicht das Ziel. Und auch kein anderer Weg. Damit wird nur ein falscher Ansatz, ein hoffnungsloses Umherirren kaschiert. Am Ende ist es doch wieder das bekannte „Erkenne dich selbst“. Hat man sich selbst erkannt, und damit das eine Prinzip, ist auch alles andere erkannt. Nun ist es leider so, dass eine notwendige Voraussetzung für die Selbsterkenntnis der Selbstzweifel ist. Zweifelt man ausreichend an sich selbst, um den „Philosophenweg“ beschreiten zu dürfen? Wie sähe ein entsprechender Test aus? Folgendes Beispiel. Sagen wir, dass jemand bei Ihnen klingelt, sich aber in der Tür geirrt hat. Derjenige fragt nun nach jemandem, den Sie nicht kennen. Sie antworten wahrheitsgemäß, dass diese Person hier nicht wohnt. Der Klingler entschuldigt sich und zieht weiter. Nachdem Sie die Tür wieder geschlossen haben, fragen Sie sich nun, ob Sie sich nicht vielleicht geirrt haben, und die nachgefragte Person möglicherweise doch bei Ihnen wohnt und Sie das nur gerade vergessen haben? Das nenne ich wahren Selbstzweifel! Nun gut, liebe Freunde. Ich gehe fest davon aus, dass wir alle hier diese Voraussetzungen erfüllt haben und daher zusammen weitergehen werden auf unserem gemeinsamen Weg. Wie immer wünsche ich eine gute Nacht!