Kulturelle Kapriolen als zwangsläufige Auswirkung der Versklavung der Schrift durch das Lautsprachliche.
Hast du was zu schreiben?
Klar, ich hab immer was zu schreiben. Solange mich das vom Lesen abhält...
Geht mir ähnlich. Ich hab mich nur deswegen aufs Schreiben verlegt, weil mich die ganze Leserei tierisch nervt. Mit Bildern hatte ich nie so ein Problem. Nur mit den Buchstaben. Ist aber mehr so ein Gefühl. Obwohl, eigentlich bin ich mir ziemlich sicher, dass es an den Buchstaben liegt. Denn, wenn ich mir einfach mal vorstelle, dass die Schrift eher aus kleinen Bildchen bestehen würde, dann hätte ich, glaube ich, nicht solche Schwierigkeiten. Daran muss es wohl liegen.
Da könntest du recht haben. Wir sollten der Sache mal auf den Grund gehen. Ich habe sowieso gerade nichts Besseres zu tun. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es für mich überhaupt nichts Besseres geben kann, als Dingen auf den Grund zu gehen. Keine Ahnung, warum das so ist. Doch so ist es eben. Also, ich sehe die Sache so. Einfach pauschal zu sagen, dass es an den Buchstaben liegt, ist vielleicht ein wenig zu einfach gedacht. Ich meine, man sollte unterscheiden. Da gibt es zum einen die Buchstaben und Buchstabenkombinationen, die für sich selbst stehen. Ohne irgendeinen Interpretationsspielraum. Das bedeutet, wenn man diese verstehen möchte, dann muss man sie bereits verstanden haben. Im Grunde ist das nur eine Bestätigung bereits vorhandenen Wissens. Ungefähr so interessant wie eine Telefonnummer oder der Einkaufszettel. Demnach nichts, was man sich freiwillig und zum Freizeitvergnügen antun würde.
Soweit kann ich dir folgen. Und weiter?
Gut. Wenn diese erste Kategorie an Buchstaben und Buchstabenkombinationen, oder sprechen wir doch der Einfachheit halber von Zeichen, dann sind auch Zahlen und Sonstiges dabei, also, wenn diese Zeichen der ersten Kategorie für sich selbst stehen, dann bedeutet das, dass die Zeichen der zweiten Kategorie nicht für sich selbst stehen, sondern für etwas anderes. Und möglicherweise besteht unser Problem darin, dass uns die erste Kategorie langweilt, einfach weil es nichts Neues bringt, während uns die Zeichen der zweiten Kategorie sogar zu stören scheinen. Da uns jedoch Zeichen in der Form kleiner Bildchen nicht zu stören scheinen, obwohl diese auch nicht für sich selbst stehen, muss es einen Unterschied geben. Nur welchen? Woher kommt dieser Widerwille gegen die Buchstaben? Nun ist es ja so, dass die Buchstaben für Laute stehen. Also für Geräusche, die man beim Sprechen macht. Das ist doch schon recht befremdlich. Was hat die mündliche Geräuscherzeugung zu tun mit der Aufnahme bildlicher Informationen? Das scheint mir ein Widerspruch zu sein. Liegt aber vielleicht auch daran, dass ich eher in Bildern denke. Könnte ja bei anderen anders sein. Wer weiß? Doch scheint mir hier das Problem zu liegen. Andererseits hat diese lautsprachliche Schrift den Vorteil, dass man erst einmal nur die Geräusche notiert und keine Bildchen aufmalen muss, die jedoch viel leichter zu konsumieren wären. Für jemanden, der sowieso eher bildlich denkt, scheint die Geräuschnotation doch ein ziemlich krasser Umweg zu sein. Wenn man sich einmal vorstellt, dass man nicht über Geräusche kommunizieren würde... Dann wäre alles so einfach. Keine lautsprachliche Schrift...
Verstehe. Du meinst, hier wurde etwas vermischt. Die mündliche Kommunikation über Geräusche und die schriftliche Kommunikation mittels Zeichen?
Irgendwie schon. Klingt erstmal komisch, wenn man es nicht anders kennt. Eine Entkopplung würde aber bedeuten, dass man beispielsweise für eine ganz bestimmte schriftliche Kommunikation mittels Bildchen, ganz unterschiedliche Arten von Geräuschkommunikation haben könnte. Das scheint mir eine Einschränkung der lautsprachlichen Schrift zu sein.
Einschränkung ist gut! Das Schriftsprachliche ist quasi sklavisch an das Lautsprachliche gebunden! Das hat vermutlich immense kulturelle Auswirkungen. Nur welche?
Es könnte beispielsweise sein, dass man versucht, dieser Einschränkung auf künstlerischem Wege zu entkommen. Das würde bedeuten, dass es ganz zwangsläufig eine extrem entwickelte Kultur im engeren Sinne geben müsste. 'Entwickelt' aus Sicht der Betroffenen. Außenstehende werden das vermutlich anders sehen und diese Kapriolen gar nicht verstehen können.
Kann ich nachvollziehen.
Das heißt, unsere Abneigung gegen das Lesen ist eigentlich eine Abneigung gegen die Versklavung der Schrift durch das Lautsprachliche.
Gut gesprochen.