Nach dem Regen

Logisch vollständige Beschreibung und ermüdende Analyse. Die Zeitlosigkeit des Zweibeiners in der Dauerschleife.

Theo saß in seinem stillen Kämmerlein. Er war unentschlossen. Sollte er etwas Licht hereinlassen? Während er so saß und grübelte, grübelte in seiner Rübe, demnach eigentlich rübelte, während er also so saß und rübelte, war es wie so oft bei Theo. Sogar ziemlich oft. Als Verächter des Entweder-Oder, dieser ganz speziellen Entscheidungsform, tat er, was er meistens in solchen Fällen tat. Etwas anderes. Seine Finger strichen über das glatte Elfenbein des Klaviers, auf dem sich verstaubte Notenblätter turmhoch stapelten.

Endlich war es dunkel. Der Regen hatte aufgehört. Zeit ein wenig Nachzudenken über das Phänomen der bewussten Nicht-Entscheidung. Hätte er anders gekonnt, wenn er gewollt hätte? Oder anders gewollt, wenn er gekonnt hätte? Als Liebhaber vollständiger Betrachtungen fügte Theo noch hinzu: Oder anders gewollt, wenn er gewollt hätte? Oder anders gekonnt, wenn er gekonnt hätte? Logik. Seine Stärke und Schwäche. Dafür bewunderten sie ihn. Doch was nun? Alles im Detail analysieren? Er wurde schläfrig. Analyse... Sowas tat er nie, wenn er hellwach war. Sollte das Gehirn die Sache doch allein zu Ende bringen. Für irgendetwas musste dieses Riesending, das jeder permanent mit sich herumbalancierte, ja gut sein. Das ging auch wirklich nur mit diesem aufrechten Gang des Zweibeiners. Nur, war zuerst das Gehirn gewachsen und man musste deshalb zum Zweibeinlauf übergehen? Oder hat man sich zuerst auf die Hinterläufe gestellt, und das hat die große Rübe überhaupt ermöglicht? Er würde das im Klub zur Diskussion stellen. Und was wäre gewesen, wenn man permanent auf den Händen gelaufen wäre? Was wäre dann gewachsen oder auch nicht gewachsen? Das würde eine angeregte Unterhaltung geben. Diese Starrköpfe. Hatten alle zuviel Zeit. Geistige Dauerschleife. Wenn die nicht alle schon so uralt wären, würden die sich vermutlich die Köpfe einschlagen. Auch das funktioniert nur bei Zweibeinern. Vom bissigen Vierbeiner zum knüppelschwingenden Erectus. Theo musste jetzt irgendwie die Kurve kriegen. Das Abdriften ins Gewalttätige behagte im gar nicht.

Der Regen hatte immer noch aufgehört. Oder vielleicht schon wieder. Zeit sich auf den Weg zu machen. Zeit?

 

(Aus: P.H.‘s „Old Boy“, Klangwelt Magazin, 1979)