Pragmatismus und die Staatsmaschine

Pragmatismus als Ablehnung einer bestimmten Ausprägung des Zusammenhangs von Sprache, Philosophie, Kultur, Denken, Politik.

Der ursprüngliche Pragmatismus, der sich in den letzten Jahrzehnten unter dem Einfluss des logischen Positivismus von Carnap, Reichenbach und anderen Vertretern des Wiener Kreises stark ausgebreitet hat, ist heute bereits in einem Zustand, in dem er rapide Kredit verliert. Hinter der pragmatischen Bewegung liegt aber ein sehr tiefes weltanschauliches Motiv. Seit der amerikanische Präsident Thomas Jefferson dieser Haltung in einigen abfälligen Worten über Plato und die platonische Philosophie zum ersten Mal einen starken Ausdruck gegeben hat, existiert in Amerika ein tiefes Misstrauen gegen europäisches Denken. Ich möchte sagen, dass die ganze Entwicklung der amerikanischen Zivilisation durch dieses Misstrauen motiviert ist. Das führte dazu, dass das amerikanische theoretische Denken eine Haltung entwickelte, die aus der europäischen Tradition nichts zu entnehmen gewillt war, wofür sich nur Gründe der inneren Reflexion angeben ließen. Diese Reflexion betrügt. Bitte denken Sie an den Trug der Vernunft in der Transzendentalen Dialektik, wo Kant von dem unhintertreiblichen Schein spricht, den uns die Reflexion vorgaukelt. Soweit die Reflexionskonzeptionen, auf denen sich die europäische Geistesgeschichte aufbaute, nur Legitimität im reinen Denken haben, will sie der Amerikaner dem Europäer nicht abnehmen. Er ist nur willens, das zu akzeptieren, was sich durch Handlung, also durch Technik im weitesten Sinne bestätigen lässt. Der amerikanische Pragmatismus glaubt zutiefst daran, dass die innere Reflexion nur das wirklich versteht, was die Handlung schon technisch vollbracht hat. Damit wird die ganze europäische Metaphysik im Grunde abgelehnt. Aber diese Ablehnung bedeutet nicht, wie ich glaube, dass man nicht auf dem Weg über die Technik zu einem neuen Verständnis von metaphysischen Begriffen und zu einer Metaphysik kommen könnte. Eine solche Metaphysik würde nicht aus einer stillen inneren Kontemplation und Betrachtung der Welt wie sie ist, sondern daraus erwachsen wie der Mensch technisch die Welt verändert. Da ich diese Metaphysik kommen sehe, glaube ich nicht an die Gefahr, dass der amerikanische Pragmatismus zu „irren Konsequenzen“ führen könnte.

 

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Die Frage nach einer möglichen Reaktion in Amerika setzt europäische Geschichtsmechanismen voraus. Und die gerade wirken in Amerika nicht. Ich glaube, man unterschätzt immer noch den Unterschied zwischen europäischer und amerikanischer Mentalität, besonders was die politischen Probleme angeht. Amerika ist das Land, wo sich aus der Struktur der englischen Sprache geschichtliche Konsequenzen ergeben haben, für die England selbst keinen Raum bot. Bedenken Sie bitte den Unterschied zwischen der deutschen und der englischen Sprache. Fichte, Hegel und Schelling kommen in englischen Übersetzungen nur völlig entstellt heraus. Die Sprache des spekulativen Idealismus ist durch Sturm und Drang, Romantik und deutsche Klassik in eine Tiefendimension hinein entwickelt worden, für die es in der englischen Sprache kein Korrelat gibt. Dieser enorme Gewinn ist freilich damit erkauft worden, dass die deutsche Sprache, wo sie sich philosophisch betätigt, viel an Durchsichtigkeit und Eindeutigkeit verloren hat. Die englische Sprache, wo sie in Amerika gesprochen wird, hat jene Abbiegung in eine neue Dimension nie erfahren; sie ist im Grunde genommen auch heute noch die Sprache der Aufklärung, die sich bis in die Gegenwart fortgesetzt hat. In dieser Sprache denkt man einfach anders. Gewisse fragwürdige Konsequenzen, die sich in Europa aus Romantik und einem parallelen politischen Denken entwickelt haben, können sich drüben einfach nicht entwickeln, weil die sprachliche Dimension fehlt, in der diese Dinge in Europa gedacht worden sind. Ich sehe also da nicht die geringste Gefahr einer politischen Reaktion. Der Staat ist für den Amerikaner gar nichts Mystisches und Romantisches; er ist eine Maschine, deren Bedienung gelernt werden muss.

 

(Aus: Gotthard Günther, Diskussion zu „Logik, Zeit, Emanation und Evolution“)