Neunzehntes Kapitel

 

Montag. Bedeutungsvoll und in die Zukunft weisend. Zeit, auf eine Reise zu gehen. Was sollte man sonst an einem Montag tun? Warum ist nicht jeder Tag ein Montag? Wenn jeden Tag Montag wäre, dann würde man an jedem Morgen auf eine Reise gehen. Und wenn man sich nach dem Aufwachen nicht sicher ist, was genau für ein Tag gerade ist? Vielleicht wieder ein Montag? Das wäre gut. Dann müsste man nicht so lange an diesem Ort bleiben, sondern könnte sofort weiterreisen, in der Hoffnung, dass auch nach der nächsten Nacht wieder Montag sein würde. Unvorstellbar, dass es auch anders sein könnte. Was würde man tun, wenn man aufwacht und feststellt, dass kein Montag ist? Denn es soll ja angeblich noch andere Tage geben. Wie die heißen, weiß kaum noch einer. Und wer es doch weiß? Mmh... Woher soll man wissen, dass derjenige, der behauptet, es wäre ein anderer Tag, und vielleicht sogar den Namen des anderen Tages weiß, woher soll man wissen, ob das stimmt, was der sagt? Man könnte ihn fragen, woher er das weiß. Doch würde das vermutlich eine längere Diskussion geben, bei der am Ende doch nicht zweifelsfrei belegt werden könnte, dass es noch andere Tage gibt. Wie sollte das auch gehen? Genauso gut würde es mir schwerfallen, zweifelsfrei zu beweisen, dass heute schon wieder Montag ist und ich deshalb schon wieder auf eine Reise gehen muss. Da am Ende keiner wirklich endgültige Beweise vorlegen kann, bleibt es wohl jedem selbst überlassen festzulegen, was für ein Tag gerade ist. Ich werde mich wohl weiterhin für die Montage entscheiden. Oder auch nicht entscheiden. Ich tue einfach so, als hätte man diese Entscheidung für mich gefällt. Eine höhere Macht hat entschieden, und ich folge den Entscheidungen dieser höheren Macht. Denn was ich will, ist, morgens an einem Montag aufzuwachen und nicht, aufwachen und erst einmal darüber nachdenken müssen, welcher Tag mir denn nun genehm wäre. Denn dabei käme doch immer wieder nur Montag heraus, weshalb mir die Idee mit der höheren Macht, die die Spielregeln festlegt, irgendwie angenehmer ist. Wie das die anderen machen, weiß ich nicht genau, und will es, ehrlich gesagt, auch gar nicht so genau wissen. Wenn mich jemand fragt, warum ich denn ständig unterwegs sei, dann erkläre ich das demjenigen durchaus bereitwillig, solange keine längere Diskussion daraus wird. Denn als jemand, der ständig unterwegs ist, fehlt mir doch etwas die Zeit, mit ortsfesten Lebewesen längere Unterhaltungen zu führen, die sie am Ende doch nur verwirren, weil das Ganze aus Sicht der Ortsfestigkeit vielleicht etwas merkwürdig erscheinen muss. Dafür habe ich Verständnis und freue mich daher jedes Mal, wenn ich jemanden treffe, der am Morgen mit mir zusammen eine Reise antritt. Und auf diesen Reisen hat man auch mal Zeit, ein wenig nachzudenken. Ich denke, dass auch die Ortsfesten viel Zeit zum Nachdenken haben. Nur denken die wahrscheinlich über ganz andere Dinge nach als ich, der ich ein dauerhaft Mobiler bin. Interessanterweise denke ich sehr oft über die Ortsfestigkeit nach. Die Frage ist nun, ob die Ortsfesten sehr viel über Mobilität nachdenken. Eigentlich könnte ich die ja mal danach fragen, nur habe ich nie Zeit, da ich ständig unterwegs bin, auch wenn es mir manchmal so vorkommt, als ob ich stillstehe und dass die Ortsfesten sich permanent an mir vorbeibewegen würden. Eine Sache ist mir jedenfalls aufgefallen. Und andere mobile Einheiten konnten mir das auch bestätigen. Nie hat jemand jemals einen Ortsfesten sagen hören, dass er keine Zeit hätte. Ist das nicht erstaunlich? Nach jahrelangen, mehr oder minder oberflächlichen Diskussionen mit anderen mobilen Einheiten, das ist auch so eine Sache, die mir aufgefallen ist, dass mit Zunahme der Mobilität, die Diskussionen zusehends verflachen und die Zeitnot entsprechend zunimmt, daher wäre zu vermuten, dass mit den Ortsfesten unheimlich tiefgehende Diskussionen möglich sein müssten, worüber auch immer, wahrscheinlich wäre das einzige Thema dieses ständige Vorbeiziehen der mobilen Einheiten, aber wer weiß das schon genau, das ist alles nur hypothetisch, wie man so schön sagt, eben einer von diesen Gedanken, die plötzlich so auftauchen, wenn man ständig unterwegs ist, aber eigentlich ging es ja darum, warum die Ortsfesten nie behaupten, dass sie keine Zeit haben. Und endlich habe ich auch des Rätsels Lösung gefunden. Die Aussage, dass man keine Zeit hat, bedeutet doch nur, dass es mindestens einen Ort gibt, an dem man mit höherer Priorität sein müsste, als an dem Ort, an welchem man sich gerade befindet. Das ist schon alles. Keine Ahnung, was das mit Zeit zu tun haben soll. Vielleicht fällt mir dazu noch etwas ein. Aber nun ist auch klar, warum von einem Ortsfesten diese Aussage niemals zu hören sein wird. Und mir ist die ganze Sache eigentlich auch völlig egal, da für mich Orte überhaupt keine Rolle spielen. Nur insofern, dass ich am Morgen, nämlich dem montäglichen Morgen, den momentanen Ort immer verlasse, um die bekannte Montagsreise anzutreten. Was aber nicht heißt, dass es eine Priorität der Orte hinsichtlich meiner Anwesenheit gäbe. Das wäre auch zu verrückt. Und wenn dieser Fall, entgegen aller Erwartung, tatsächlich irgendwann eintreten sollte, dann kann ich jetzt schon sagen, dass ich meine Existenz als mobile Einheit beenden und zum Ortsfestentum konvertieren werde. Mir ist nur nicht klar, ob dann auch jeder Tag ein Montag sein wird, oder wie das dann abläuft. Jedenfalls wird es keine Reisetage mehr geben. Insofern ist es vermutlich völlig egal, ob man dem Tag überhaupt einen Namen gibt. Man macht ja eh jeden Tag das Gleiche, nämlich die Mobilen beobachten. Ich freu mich drauf!