„Aber die Alternative“, warf ich ihm ein, „zur Kultur ist die Barbarei.“
„Erlaube mir“, sagte er. „Die Barbarei ist das Gegenteil der Kultur doch nur innerhalb der Gedankenordnung, die diese uns an die Hand gibt. Außer dieser Gedankenordnung mag das Gegenteil ganz etwas anderes oder überhaupt kein Gegenteil sein.“
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„Für ein Kultur-Zeitalter scheint mir eine Spur zuviel die Rede zu sein von Kultur, meinst du nicht? Ich möchte wissen, ob Epochen, die Kultur besaßen, das Wort überhaupt gekannt, gebraucht, im Munde geführt haben. Naivität, Unbewusstheit, Selbstverständlichkeit scheint mir das erste Kriterium der Verfassung, der wir diesen Namen geben. Was uns abgeht, ist eben dies, Naivität, und dieser Mangel, wenn man von einem solchen sprechen darf, schütz uns vor mancher farbiger Barbarei, die sich mit Kultur, mit sehr hoher Kultur sogar, durchaus vertrug. Will sagen: unsere Stufe ist die der Gesittung, - ein sehr lobenswerter Zustand ohne Zweifel, aber keinem Zweifel unterliegt es auch wohl, dass wir sehr viel barbarischer werden müssten, um der Kultur wieder fähig zu sein. Technik und Komfort – damit redet man von Kultur, aber man hat sie nicht. Willst du mich hindern, in der homophon-melodischen Verfassung unserer Musik einen Zustand musikalischer Gesittung zu sehen – im Gegensatz zur alten kontrapunktisch-polyphonen Kultur?“
(Aus: Thomas Mann, „Doktor Faustus“, VIII)