Mysterium

Nur ein Test? Zur Unterscheidung von Unbekanntem und Mysterium mittels Satz vom ausgeschlossenen Dritten. 

Liebe Ehemalige!

 

Kürzlich ist mir zu Ohren gekommen, dass das Denken für das Denken ein Mysterium sei. Das war mir so nicht bekannt. Gilt vielleicht auch, dass das Gedachte für das Gedachte ein Mysterium ist? Nun ist der Gedanke als Gedachtes entweder vorhanden oder nicht vorhanden. Doch wie ist es mit dem Mysterium der Herkunft des Gedankens? Ein Mysterium sollte demnach keinesfalls entweder vorhanden oder nicht vorhanden sein. Der Drittensatz ist nicht auf das Mysterium anwendbar. Gleichfalls ist das Mysterium nicht fuzzy in dem Sinne, dass es irgendwo zwischen Vorhandensein und Nichtvorhandensein vielleicht so ein bisschen vorhanden ist. Daraus folgt auch, dass auf das Mysterium der Entstehung eines Gedankens die klassische Negation nicht anwendbar ist. Das klingt sonderbar, denn die Abwesenheit des Mysteriums ist doch letztlich dessen Negation. So könnte man argumentieren. Nur hätte man damit dem Mysterium eine ganz klassische Existenz verliehen und die Eingangsvoraussetzung ad absurdum geführt. Was man getan hat ist nämlich, das Mysterium seiner Komplexität zu berauben und es einfach nur als ein Unbekanntes zu betrachten. Und für das Unbekannte als ein Existierendes, jedoch noch nicht Entdecktes, gilt ganz selbstverständlich der Drittensatz. Soviel, liebe Ehemalige, zur Klärung der Begriffe des Unbekannten und des Mysteriums für diesen Vortrag. Danach können Sie freilich andere Vereinbarungen treffen, die ganz sicher ihren Zweck erfüllen werden, einen Zweck, der einer, wie auch immer gearteten, Motivation entspringen mag. Für den Zweck dieses Vortrages ist das die Unterscheidung mittels Drittensatz. Oder wie es ein berühmter Mensch einmal ausdrückte, dass die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache ist. Ich hoffe, ich habe das einigermaßen richtig wiedergegeben. Was also lässt sich über das Mysterium sagen, außer dass es nicht dem Drittensatz gehorcht? Sollte man darüber schweigen? Jetzt könnte man auf den Gedanken kommen, dass eine Logik mit zwei Werten nicht ausreicht. Man nehme besser drei, oder vier. Nun bedeuten die zwei Werte nichts anderes als Existenz oder Nichtexistenz ein- und derselben Sache, wie beispielsweise eines Gedankens. Was aber sollen der dritte und der vierte Wert sein? So könnte man einwenden. Ein anderer könnte sagen, dass das doch völlig egal ist, denn bei vier Werten gibt es immer noch das ausgeschlossene Fünfte. Da hat er nicht ganz Unrecht. Kurz gesagt, einfach weiterzählen bringt nichts. Zahlen sind übrigens auch ein interessanter Aspekt im Hinblick auf das Mysterium, denn sie spielen, wie auch die Wertlogiken, keine Rolle, da es keine abzählbaren Existenzen gibt, die vielleicht gerade vorhanden, oder auch nicht vorhanden sind. Nun bringt es der Gebrauch des Wortes 'Mysterium' in der Sprache so mit sich, dass man es als etwas Unbegreifliches, im Hintergrund Agierendes, alles Durchringendes verstehen könnte. Warum eigentlich? Doch wenn das so sein sollte, dann müssen wir uns eben für ein anderes Wörtchen entscheiden. Anstatt man also sagt, dass die Herkunft des Gedankens ein Mysterium sei, sagt man nun lieber, dass der Gedanke einem komplexen Prozess entspringt. Denn das, meine lieben Ehemaligen, klingt für unsere zeitgeistigen Ohren deutlich unangreifbarer. Was soll das eigentlich alles? Nun, es könnte eine kleine Hilfe sein, der Sprachverwirrung in 'philosophischen' Diskussionen zu entgehen. Was gleichzeitig mit sich bringt, den Diskussionen selbst zu entgehen. Ein bekannteres Beispiel dafür ist wohl dieses Lügner-Paradoxon, wo ein kretisches Individuum seiner Komplexität beraubt wurde, indem so getan wurde, als wäre der Drittensatz uneingeschränkt anwendbar. Vielleicht war das aber auch nur so eine Art Standardtest im Philosophieunterricht der Alten Griechen? Wer weiß das schon genau. Dies und Ähnliches ist Ihnen, als ehemalige Philosophen, natürlich mehr als geläufig. Das war es dann aber auch für heute. Vielen Dank für Ihre Geduld und gute Nacht!

Mystery

 

Dear alumni!

 

I heard recently that thinking is a mystery to thinking. I didn't know that. Is it perhaps also true that what is thought is a mystery to what is thought? Now the thought as thought either exists or does not exist. But what about the mystery of the origin of thought? A mystery should therefore in no way either exist or not exist. The principle of excluded third does not apply to mystery. Likewise, the mystery is not fuzzy in the sense that somewhere between existence and non-existence it may exist just a little bit. It also follows from this that classical negation is not applicable to the mystery of the origin of a thought. That sounds strange, because the absence of mystery is ultimately its negation. One could argue that. However, one would have given the mystery a completely classical existence and reduced the initial requirement ad absurdum. What has been done is stripping the mystery of its complexity and just looking at it as an unknown. And for the unknown as something that exists but has not yet been discovered, the principle of excluded third applies quite naturally. So much, dear alumni, for clarifying the terms of the unknown and mystery for this lecture. After that, of course, you can make other arrangements that will surely serve their purpose, a purpose that may spring from whatever motivation. For the purpose of this lecture, that is the principle of excluded third. Or as a famous person once put it, the meaning of a word is its use in the language. I hope I've spelled that out fairly correctly. So what can be said about the mystery, except that it does not obey the principle of excluded third? Should one keep quiet about it? Now one might get the idea that logic with two values is not enough. It's better to take three or four. Now the two values mean nothing other than the existence or non-existence of one and the same thing, such as a thought. But what should the third and the fourth value be? One could object. Another might say that it doesn't really matter, because with four values there is always the excluded fifth. He's not entirely wrong about that. In short, just keep counting is useless. Incidentally, numbers are also an interesting aspect with regard to the mystery, because, like the value logics, they play no role, since there are no countable existences that may or may not exist at the moment. Now the use of the word 'mystery' in the language brings it with it in such a way that one could understand it as something incomprehensible, acting in the background, all-pervasive. Why actually? But if that's the case, then we'll just have to choose a different word. So instead of saying that the origin of the thought is a mystery, it is better to say that the thought arises from a complex process. Because that, my dear alumni, sounds much more unassailable to our contemporary ears. What is all this supposed to mean? Well, it might be a little help to avoid the confusion of language in 'philosophical' discussions. Which at the same time entails escaping the discussions themselves. A more well-known example of this is arguably this Liar's Paradox, where a Cretan individual was stripped of his complexity by pretending that the principle of excluded third was fully applicable. But maybe that was just a kind of standard test in the philosophy classes of the ancient Greeks? Who knows exactly. As a former philosopher, you are of course more than familiar with this and similar things. But that was it for today. Thank you for your patience and good night!