Raumzeitzeichen

Zeichen setzen Raum und Zeit voraus. Ein transklassischer Entwurf des Maschinalen hat somit gar keine andere Wahl, als sich jenseits von Raum und Zeit zu definieren.

Die klassische Konzeption des Berechenbaren und Maschinalen, wie sie in großer Allgemeinheit von Leonid Levin skizziert wurde, setzt offensichtlich zwei fundamentale Kategorien voraus: Raum und Zeit. Beide sind jedoch in einem genuin semiotischen bzw. maschinalen Sinne (Länge einer Berechnung, Größe der Konfiguration) verstanden und nur indirekt, etwa bei Komplexitätsüberlegungen, verbunden mit dem Raum- und Zeitbegriff der Philosophie und der Physik. Ein transklassischer Entwurf des Maschinalen hat somit gar keine andere Wahl, als sich jenseits von Raum und Zeit zu definieren, will er seine Eigenständigkeit realisieren. In diesem Sinne ist das kenomische Modell des Berechenbaren elementarer, wenn auch vielleicht nicht gerade einfacher (zu verstehen).

In den vorangehenden Kapiteln wurde gezeigt, dass sich die kenogrammatische Äquivalenz unabhängig von der semiotischen Äquivalenz Einführen lässt. Die allgemeinste Definition von Raum und Zeit liefert die Semiotik. Aufgrund des Identitätsprinzips ihrer Zeichen gilt, dass zwei Zeichen nicht zugleich den selben Ort (Kästchen) einnehmen können. Zwei Zeichen sind entweder identisch oder divers. Damit diese Unterscheidung funktioniert, müssen Zeichen separierbar sein. Sie müssen unterschiedliche Orte einnehmen können. Identifizierbarkeit und Separierbarkeit haben einen semiotischen Raum zur Voraussetzung. Eine Überdetermination von Zeichen(vorkommnissen), wie etwa in der Konkreten Poesie, ist ausgeschlossen. Zeichen erscheinen nacheinander, nicht übereinander. Sie sind durch die Verknüpfungsoperation miteinander verbunden, d.h. aneinander gereiht. Diese Reihung, Zeichenreihengestalt, bestimmt ihre Temporalität. Der Zeichenfluss ist in der Zeit. Zeichen setzen Raum und Zeit voraus. Sie zeitigen und raumen nicht. Diese Argumentation gilt sowohl für die konstruktivistische wie für die platonistische Auffassung der Semiotik. Wobei die Platonisten auf den Raum der semiotischen Relationalität setzen und die Zeitlichkeit ihrer Axiomatiken verdrängen, dagegen setzen die Konstruktivisten auf die Zeitstruktur ihrer semiotischen Operationen und verdrängen die Räumlichkeit ihrer Konstruktionen.

Kenomische Übergänge dagegen eröffnen Räume, sind Raum einräumend und Zeiten eröffnend. Kenogramme ermöglichen semiotische Überdeterminationen, Mehrzeitigkeit, Multiversen, Polyrhythmie.

 

(Aus: Rudolf Kaehr, "Skizze eines Gewebes rechnender Räume in denkender Leere", S.112)