Der Wert, den Hegel der Arbeit zuschreibt und der sie an die Stelle eines mythologischen Jenseitsglaubens setzt, kann nur die Folge einer philosophischen Wendung sein, die sich mehr oder weniger bewusst ausschließlich dem Diesseits zuwendet. Von nun an sind es nicht mehr Ideen, die dem Menschen sein Heil versprechen oder ihn verführen, sondern die Arbeit allein ist es, von der Befreiung erwartet werden kann.
Hegel nimmt hier etwas vorweg, wofür seine Zeit noch längst nicht reif war, und auch wir haben Mühe, uns der Phantasmagorie eines Jenseits zu entwöhnen, das uns Ruhe und Behaglichkeit verspricht. Das Ende jener Gefühlswelt wird erst gekommen sein, wenn die Reflexion den Denkraum des Jenseits von allen übrigen Inhalten restlos entleert hat und nur noch jenes absolute Nichts bzw. die totale Negation übrig bleibt, von der am Anfang der Hegelschen Logik die Rede ist. Was man dabei aber immer wieder vergisst, ist, dass der Säkularisierungsprozess, der von dem Jenseits nur ein „leere Nacht“ (Hegel) übrig gelassen hat, einem Datum gegenüber machtlos ist: Das ist die Grenze selbst, die das Immanente vom Transzendenten trennt! Hier versagt der Säkularisierungsprozess total, weil es sich für ihn ja immer nur darum handelte, Denkobjekte zu entfernen, deren angebliche Realität als Mythologem entlarvt war. Aber die Grenze selbst, die zwischen Immanenz und Transzendenz besteht, kann durch diesen Prozess nicht angetastet werden.
Sie ist ja kein Gegenstand im Raum des Transzendenten, der wie ein Möbelstück aus einer verlassenen Wohnung entfernt werden kann. Sie ist ebenso gut eine Eigenschaft des Diesseits, und es wird von ihrem Charakter absolut nichts genommen, wenn man, statt wie früher zu sagen, sie scheidet dieses Jammertal vom Himmelsraum mit Gott und seinen himmlischen Heerscharen, stattdessen formuliert: Sie ist die Grenze, wo Sein, so wie wir es verstehen, abbricht und sich das Bewusstsein dem absoluten Nichts gegenüber sieht. Es ist Hegel gewesen, der entdeckt hat, dass in dem reflektierenden Säkularisationsprozess die Bedeutung der Grenze sich nicht nur nicht vermindert, sondern ganz unvorstellbar gesteigert hat.
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Mit diesen Voraussetzungen der Hegelschen Philosophie lässt sich jetzt in sehr allgemeiner Weise philosophisch beschreiben, was Arbeit in einem letzten primordialen Sinne ist. Es ist die Aufgabe, den Leerraum der totalen Negativität durch schöpferische Tätigkeit im Diesseits zu erfüllen. Denn bliebe dieser Leerraum eben leer und erinnerte uns nur an die Grenze zu ihm an sein Unerfülltsein, dann hätten wir nie die Garantie, dass sich jenes ontologische Vakuum nicht wieder mit neuen Mythologemen füllen würde.
Eine solche Möglichkeit ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Hohlraum der Negativität durch Arbeit im Diesseits mit technischen Schöpfungen erfüllt wird, die dem Hang zum Mythologischen keinen Platz mehr lassen, sich auszuleben. Die Grenze enthüllt sich hier als der Index für das Bewusstsein, dass es von der theoretischen Kontemplation zur aktiven Handlung übergehen muss.
Es gehört zum weltgeschichtlichen Verdienst Hegels, dass er begriffen hat, dass der Umschlag des Denkens in das Handeln nicht vermittels der Motorik einer einzigen totalen Negation geleistet werden kann. Aber hier stoßen wir auch auf die metaphysische Schwäche seiner Philosophie. Er erkennt in der zweiten Negation zwar an, dass die erste Schranke, die den Bewusstseinsraum des Ichs von einem total Anderen trennt, von einer zweiten komplementiert werden muss, die das gleiche für den Abgrund zwischen Du und Welt leistet, aber er sieht nicht, dass derselbe Abgrund sich zwischen Ich und Du auftut. Der Gegensatz zwischen Ich und Du spielt in seiner Philosophie überhaupt keine Rolle. Es ist immer das Subjekt überhaupt, das sowohl Ich als auch Du sein kann, das für ihn logisch relevant ist. Das ist, was ihn zum Idealisten macht und was die volle Rückkehr der Spekulation zur Erde und dem Arbeitsraum des Diesseits nicht gelingen lässt.
(Aus: Gotthard Günther, „Als Wille verhält der Geist sich praktisch“, Hegel Jahrbuch, 1977/78)