„Finden Sie auch, dass Musik und Malerei etwas so Verschiedenes sind?“
„Das – das möchte ich schon meinen, irgendwie“, sagte er.
„Ich auch. Meine Schwester dagegen erklärt aber, sie seien genau dasselbe. Wir streiten uns oft gehörig darüber. Sie sagt ich sei beschränkt, ich sage, sie sei schludrig.“ Nun kam sie in Fahrt und rief: „Erscheint Ihnen das denn nicht auch lächerlich? Wozu sollen die Künste denn gut sein, wenn sie austauschbar sind? Wozu hätten wir denn unsere Ohren, wenn sie uns dasselbe vermitteln wie die Augen? Helens einziges Ziel besteht darin, Melodien in die Sprache der Malerei zu übersetzen und Bilder in die Sprache der Musik. Das ist ja sehr genial und sie sagt dabei auch einige nette Dinge, aber was ist damit schon gewonnen, das möchte ich doch zu gern wissen! Ach, es ist ja alles Quatsch, radikal verkehrt. Wenn Monet wirklich Debussy ist und Debussy wirklich Monet, dann ist eben keiner von den beiden Herren einen Schuss Pulver wert – das ist meine Meinung!“
Offensichtlich stritten sich diese Schwestern.
„Diese Symphonie zum Beispiel, die wir uns eben angehört haben – sie kann einfach nicht die Finger davon lassen. Von vorn bis hinten geheimnisst sie etwas hinein und macht Literatur daraus. Ob ich wohl den Tag noch erlebe, an dem Musik endlich wieder als Musik behandelt wird? Aber ich weiß nicht so recht. Da ist noch mein Bruder – hinter uns. Der behandelt Musik als Musik, aber du meine Güte! Der macht mich noch wütender als alle anderen, einfach rasend! Mit ihm streite ich mich gar nicht erst.“
Eine unglückliche Familie, wenn auch begabt.
„Aber der eigentliche Übeltäter ist natürlich Wagner. Der hat mehr zum Kuddelmuddel der Künste beigetragen als jeder andere im neunzehnten Jahrhundert. Ich finde wirklich, dass sich die Musik derzeit in einem sehr bedenklich, wenn freilich auch höchst interessanten Zustand befindet. Von Zeit zu Zeit tauchen da in der Geschichte solche genialen Brunnenvergifter wie Wagner auf, die alle Gedankenbrunnen auf einmal aufwühlen. Einen Augenblick lang ist es großartig. Ein Sprudeln wie nie zuvor. Aber hinterher – so viel Schlamm; und die Brunnen -, die fließen nun gewissermaßen nur allzu leicht ineinander und nicht einer wird noch klares Wasser führen. Genau das hat Wagner getan.“
(Aus: E. M. Forster, "Wiedersehen in Howards End", Kap.V)